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Einladung der Bill und Melinda Gates Foundation zur Entwicklungszusammenarbeit

“Wie können Technologien sowie Innovationen – neu wie alt – das Leben der Menschen in Entwicklungsländern verbessern? Das ist eine der zentralen Fragen, auf die wir von der Bill & Melinda Gates Foundation Antworten suchen. Wir möchten Sie hiermit herzlich einladen, gemeinsam mit Bill Gates und weiteren Visionären die technologischen Möglichkeiten zu diskutieren.” – Eingeladen war Felicitas Steinhoff, Mitglied des Landesvorstand der niedersächsischen Piratenpartei und Mitglied der AG-Entwicklungsarbeit zu einem Treffen mit Bill Gates am 14.11.2013 in Berlin.

Felicitas, du wurdest durch die Bill and Miranda Gates Stiftung eingeladen, wie hast du von der Einladung erfahren?

Die Einladung ging an mich, allerdings über die info[at]piraten-hildesheim[dot]de Adresse unseres Kreisverbandes, deshalb wurde ich beim Stammtisch mit den Worten: “Bill Gates hat dich nach Berlin eingeladen!” begrüßt. Zuerst dachte ich ehrlichgesagt es wäre Spam. Im Nachhinein glaube ich, die Organisatoren haben einfach “Entwicklungspolitik Piratenpartei” gegoogelt und meinen Blogpost über den AG Entwicklungsarbeit Programmantrag für Neumarkt “Piratige Entwicklungspolitik – Ein Randthema” gefunden. Also, danke für die Blumen!

Das Thema der Veranstaltung war “Wie können Technologien sowie Innovationen – neu wie alt – das Leben der Menschen in Entwicklungsländern verbessern? Denkst du, das es dafür neue Technologien benötigt?

Als Pirat sage ich: Auf jeden Fall! Die neuen Technologien können auf einer ganz praktischen Ebene Entwicklungszusammenarbeit (EZ) erleichtern (Energieversorgung, sanitäre Anlagen, Fortschritte in der medizinischen Versorgung). Auf einem abstrakterem Level kann man durch Digitalisierung die Organisation und deren einzelne Projekte besser vernetzen und koordinieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Hilfe bei Umweltkatastrophen. Auch hier in Deutschland haben sich beim Hochwasser dieses Jahr Open Street Maps und soziale Netzwerke als sehr nützlich erwiesen, um schneller und koordinierter Hilfe zu leisten.
Persönlich sehe ich das Potential von neuen Technologien als noch viel weitreichender, nämlich als die beste Möglichkeit EZ transparenter zu machen und der breiten Masse der Menschen, Erfolge und Schwierigkeiten nachvollziehbar offen zu legen. Für die Menschen hier in Deutschland besteht mit Open Data Standards in der EZ die Möglichkeit mit wenig Aufwand zu sehen, wo ihre Steuergelder hinfließen. Für die Menschen in den Partnerländern bedeuten solche Standards, die durch die Digitalisierung erst möglich werden, dass sie selbst herausfinden können, wer welche Projekte in ihrer Region oder einem bestimmten Bereich ausführt. Das ermöglicht es ihnen auch, Korruption schneller zu erkennen und Ansprechpartner zu finden. Wer Informationen hat, kann mitreden. Deshalb sehe ich hier in der digitalen Vernetzung auch eine große Chance, die lokale Zivilgesellschaft mit den großen Hilfsorganisationen auf Augenhöhe zu bringen.

Shona farms Zimbabwe by Ulrich Lamm
Shona farms Zimbabwe by Ulrich Lamm

Du bist ja seit vielen Jahren im Bereich der Entwicklungspolitik unterwegs, was ist deine Meinung nach die dringendsten Probleme die angegangen werden müssen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Bill Gates spricht ja selbst von einer 10 Punkte Hierarchie und setzt die Ausrottung von impfbaren Krankheiten an erste Stelle und fokussiert seine Stiftung darauf. Es kommt auf die Umstände an, in denen man arbeitet, die Region, in der man Entwicklungszusammenarbeit betreibt. Wenn ich es einem urbanen Afghanen aus Kabul ermögliche mit Open Source zu programmieren, oder mit Mikrokrediten einen Hardware-Laden zu betreiben, hilft ihm das, beispielsweise. Wenn ich das aber bei der Landbevölkerung mache, ist das unsinnig, weil es dort nicht einmal sauberes Wasser gibt, die Hälfte des Dorfes krank ist und keine medizinische Versorgung hat.
Es kann nicht sofort darum gehen, allen Menschen alles zu geben. Vielmehr muss man Menschen erstmal die Möglichkeiten geben lange genug zu überleben um überhaupt eine Zukunftsperspektive zu haben, bevor man anfangen kann weiterzudenken.

Verbindet man mit Entwicklungspolitik aber nicht eher Dinge wie Ernährung und Gesundheit und haben diese nicht einen höheren Stellenwert als eine Open-Data-Initiative?

In  jedem Land existieren diese, ich nenne sie mal “Bedürfnis-Ebenen” nebeneinander. Ich hatte gerade das Beispiel mit dem urbanen Afghanen und dem Dorf. Es gibt also keinen Step-by-Step Plan was eine  einheitliche Entwicklungsstrategie für ein ganzes Land sein kann, sondern immer viele Einzelprojekte die auf verschiedene Ebenen zielen: von Medizin, Ernährung, bis hin zu Ausbildung, politischer Bildung und Good Governance.
Das ist leider etwas, was selten so offen kommuniziert wird: Es gibt keinen  Masterplan. Es gibt verschiedene Ziele in der EZ und nochmal tausend  mehr Projekte und Methoden um diese zu erreichen. Manche funktionieren mehr, manche weniger, und manche leider gar nicht.
Was die IATI, die Internationale Aid Transparency Initiative, aber leisten kann, ist, dass die Menschen, die sich für Entwicklungszusammenarbeit interessieren, und damit meine ich auch ausdrücklich Menschen aus den Partnerländern, eine Möglichkeit haben, überhaupt erstmal  auf einen Blick zu sehen was überhaupt gemacht wird. Die Digitalisierung über das Internet und Telekommunikation ist gerade erst am Anfang und überschwemmt die Entwicklungsländer. Es wird dort einen sehr großen Bedarf an Informationen und Vernetzung geben, besonders im Bereich EZ. Als Pirat prioritisiere ich das, weil ich es nicht einsehe, dass ich, geschweige denn jemand vor Ort, nicht ohne stundenlange Recherche einsehen kann, welche Organisationen in welcher Region was für Hilfsprojekte durchführen. Das ist intransparent und hilft auch nicht dabei die  Akzeptanz ausländischer Hilfsprojekte zu erhöhen.

Bill Gates hat sich in naher Vergangenheit eher für eine klassische Art der Entwicklungshilfe ausgesprochen, hat er seine Meinung für dich plausibel darlegen können?

Ja natürlich. Bill Gates hat ja auch ganz andere Mittel als ich. Jemand wie Gates kann es sich leisten, die besten Forscher, die besten Institute und die besten Chemiker darauf anzusetzen Impfstoffe für Kinderkrankheiten zu entwickeln. Ich bin stattdessen jemand, der Wert darauf legt zu wissen, was für Projekte sich derzeit in der EZ an welchen Orten abspielen und wie die Geldflüsse so aussehen. Ich fände es trotzdem schön, wenn gerade große Organisationen, wie die Bill Gates Foundation, auch auf mehr Transparenz bei Vergabe ihrer Fördermittel pochen würde.

Du sprichst in deinem Blog von einer Verschwendung von Geld durch mangelnde Kommunikationen der Entwicklungshelfer untereinander und Doppelung von Hilfsmaßen. Konnte Gates dir einen alternativen Weg zur Open-Data-Initiative anbieten?

Gates hat selbst als Antwort auf meine Frage gesagt, dass Transparenz ein wichtiger Baustein zur Korruptionsbekämpfung sein wird. Allerdings hat er auch zugegeben, dass, wenn man zum Beispiel mit einer Regierung kooperieren muss, um Projekte vor Ort zu ermöglichen, man nicht immer die Wahl hat, bzw. Kompromisse eingehen muss. Das ist ein grundlegendes Dilemma der Entwicklungshilfe, bei der man sich oft mit den Gegebenheiten vor Ort arrangieren muss, damit das Projekt überhaupt eine Chance hat. Ich wünschte mir, dass es über diese Kompromisse, auch in Deutschland bei der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und dem BMZ (Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), mehr  Öffentlichkeit und Diskussion geben würde. Nur so kann man vielleicht mal eine Prioritisierung oder eine ganzheitliche Strategie für EZ zusammenstellen.

Neben Gates haben sich ja auch Herr Vierhaus von der GIZ und Dr. Kunar zu dem Thema Entwicklungshilfe geäußert, konnten sie dir eine neue Sichtweise vermitteln?

Herr Vierhaus vom GIZ hat etwas sehr Spannendes zum Aspekt Geld in der EZ gesagt, als er gefragt wurde, was der GIZ helfen würde, mehr Hilfe zu leisten. Wobei er auch dezidiert sagt, dass man nicht einfach nur Geld geben kann, da dies zu Abhängigkeit führt. Auch bei sinnvollen Projekten braucht man natürlich Geld, aber man kann nicht einfach davon ausgehen, dass mehr Geld automatisch auch bessere Resultate erzielt. Es geht also darum, wie man Gelder sinnvoll einsetzt und es ist wichtig, dass sich gerade große Organisationen, die über viele Gelder, wenn nicht sogar Steuergelder verfügen, sich aktiv mit dieser Frage auseinandersetzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die GIZ, oder das BMZ hier Studien betreiben und diese auch veröffentlichen würde, denn gerade kleinere NGOs (Non-Governmental Organization) können sich solche Auswertungen im großen Stil nicht leisten. Eine Verpflichtung seitens des BMZ Gelder nur zu vergeben, wenn die Geförderten ihre Daten im IATI Standard veröffentlichen, würde hier natürlich auch helfen, deshalb hatte unsere Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitik das ja auch im Bundestagswahlprogramm-Antrag gefordert.

Jakarta slumhome by Jonathan McIntosh
Jakarta slumhome by Jonathan McIntosh

Dr. Kunar arbeitet in Rostock an einem spannenden Projekt, in dem die Ohren von Kindern in Krankenhäusern vor Ort als biometrische Marker mit dem Smartphone fotografiert werden, um damit auf eine Datenbank mit Impfdaten zugreifen zu können. Gerade in Krisenregionen aus denen die Menschen fliehen und in Flüchtlingscamps könnten damit Helfer vor Ort schnell und einfach an wichtige Patientendaten kommen. Hier zeigt sich aber auch die Schattenseite der technischen Innovation: ein Ohr kann man, genau wie einen Fingerabdruck, nicht mal eben ändern. Das Projekt wirft für mich unter dem Aspekt Datenschutz spannende Fragen auf. Man kann die poltische Situation in vielen Partnerländern als nicht stabil bezeichnen. Eine erhöhte digitale Vernetzung und auch eine Datenbank mit medizinischen Daten, könnten zukünftigen Missbrauch erleichtern.

Aber heiligt, wenn er es denn überhaupt irgendwo tut, nicht gerade hier der Zweck die Mittel?

Das ist eine sehr wichtige Frage die mich seit der Veranstaltung sehr beschäftigt. Ich habe noch keine definitive Antwort darauf gefunden. (Erste Gedanken danach) Auch die Bill Gates Foundation steht unter Kritik weil Gates Anteile an Monsanto besitzen soll. Auch an deutscher Entwicklungszusammenarbeit hängen Wirtschaftsinteressen einzelner Konzerne und Lobbys. Wir alle wissen das, und sind uns dieser Problematik bewusst, aber es wird selten thematisiert.
Ich bin der Meinung, jeder von uns muss das selbst entscheiden. Als Privatmensch kann ich dann konsequent sagen: Nein, an diese Stiftung spende ich kein Geld, denn die macht Kompromisse, die ich für nicht vertretbar halte. Wenn es aber um Entwicklungszusammenarbeit des BMZ und der GIZ geht, haben wir keine Wahl, denn unsere Steuergelder werden automatisch dorthin verteilt. Deshalb sehe ich diese beiden Institutionen noch mehr in der Pflicht, transparent und offen darzulegen, wie viele Gelder wohin gesteckt werden, wer die Partner Investoren sind. Aber vor allem will ich auch wissen: was hat nicht funktioniert und wo musste man Abstriche machen? Bei welcher Regierung hat man verhandelt und nimmt z.B. Menschenrechtsverletzungen hin? Mir fallen aus Anhieb um die zehn ein. Das heißt nicht, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit in diesen Ländern abgebrochen werden soll, im Gegenteil. Aber man sollte den Mut haben, diese Kompromisse öffentlich darzulegen. Denn nur mit der öffentlichen Debatte um die Fehler und Tücken können wir in Deutschland mal eine Entwicklungszusammenarbeit-Strategie entwickeln, die den Anspruch, hat nicht gleich durch konfligierende Wirtschaftsinteressen, Rüstungsexporte, Fehlwirtschaft, usw. mit dem Hintern das einzureißen, was die Entwicklungszusammenarbeit vor Ort eigentlich propagiert.
Und noch einmal: Damit diese öffentliche Debatte überhaupt stattfinden kann, muss die Entwicklungszusammenarbeit aufhören, ständig nur von “Erfolgen” zu reden, sondern sich kritisch mit ihren Geldflüssen und gescheiterten Projekten auseinandersetzen. Mehr Transparenz im Bezug auf Geldflüsse ist ein Anfang und deshalb möchte ich, als Otto-Normal-Bürgerin diese Informationen zur Verfügung haben.

Felicitas, ich danke dir für das Gespräch.

Das Interview führte Jan Schaper

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