Aktuelles Gastbeiträge

Digitalisierung? Grundeinkommen! Lösung für die Landwirtschaft?

Wahlplakat mit Aufdruck "Grundeinkommen ist wählbar"

Ein Gastbeitrag von Annette Berndt

Im Rahmen der digi BGE-19 Tournee [1] diskutierten am 15.11.2019 Vertreter aus der Landwirtschaft in Norden. Carl Noosten, Leiter eines Ackerbaubetriebs und Kreisvorsitzender des LHV Norden–Emden (landwirtschaftlicher Hauptverein), Kristian Lampen, Biobauer aus dem Emsland und Betreiber der Solidarischen Landwirtschaft auf dem Hof Ems-Auen und Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus Rhauderfehn und Landesvorsitzender der AbL Niedersachsen/Bremen (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) waren der Einladung in die Behrendssche Villa gefolgt. Organisiert und moderiert wurde die Veranstaltung von Timo Schneider von der Kreisvolkshochschule Norden, von Dr. Michael Berndt, Fachberater BGE der Piratenpartei Deutschland und von Annette Berndt, agrarpolitische Sprecherin der Piratenpartei Deutschland und der Piratenpartei Niedersachsen, die sich im Netzwerk Grundeinkommen [2] engagieren.

Im Netzwerk Grundeinkommen haben sich Menschen aus verschiedenen Organisationen, Parteien, aus Kirche und Gewerkschaft zusammengeschlossen, um die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) bekannt zu machen, in diesem Jahr mit einer Tournee in vielen deutschen Städten und im Zusammenhang mit dem Wandel durch Digitalisierung. Für Norden in Ostfriesland war es naheliegend, die Schnittmengen von Digitalisierung und Grundeinkommen für die Landwirtschaft zu ergründen. Dr. Michael Berndt stellt einleitend klar, ein bedingungsloses Grundeinkommen ist keine Sozialleistung, sondern ein Recht. Jeder Mensch erhält es mit dem Selbstverständnis, mit dem wir z.B. unseren Kindern alles Notwendige und Mögliche zukommen lassen, wenn sie heranwachsen. Wir vertrauen darauf, dass diese sich selbstbestimmt in die Gesellschaft einbringen werden und Arbeit leisten wollen. Die Motivation dazu ist im Menschen verankert und muss nicht durch Erwerbsarbeit erzwungen werden, so das zugrunde liegende Menschenbild. Zunächst zur Landwirtschaft:

Welches sind die dringlichsten Probleme in der Landwirtschaft?

Hier nennt Herr Noosten an erste Stelle die Hofnachfolge, die für sehr viele landwirtschaftliche Betriebe nicht geklärt ist. Herr Ilchmann stimmt zu und benennt die Ursache: „Es sind zwei Mühlsteine, zwischen denen die landwirtschaftlichen Betriebe heutzutage zerrieben werden“. Auf der einen Seite sind es zunehmende Auflagen und Bestimmungen, die den Betrieb einschränken, und stetig steigende Kosten für Betriebsmittel. Auf der anderen Seite erhält ein Landwirt für seine Erzeugnisse kaum mehr als vor 20 Jahren, z.T. sogar weniger. Dies versucht er dann durch mehr Tiere, mehr Fläche, mehr Arbeit, intensivere Nutzung auszugleichen. Herr Lampen macht deutlich, dass auch in der Biolandwirtschaft die Erlöse nicht auskömmlichen sind. Bei der Betriebszweig-Auswertung wenige Tage zuvor wurde errechnet, dass ein kostendeckender Milchpreis für Biomilch bei 0,70 € liegen müsste, gezahlt werden aber nur um die 0,50 €.

Welche Rolle spielt Digitalisierung in der praktischen Landwirtschaft und kann sie zur Lösung beitragen?

Maschinen, die z.B. exakt dosiert auf dem digital erfassten Acker Saatgut, Dünger oder Spritzmittel ausbringen und ein Zuviel unterbinden, wie im precision farming beschrieben, können hilfreich sein für die gesellschaftlich geforderten Änderungen. Herr Ilchmann schränkt aber ein, dass das Auge des Bewirtschafters und sein Erfahrungswissen nicht durch Digitalisierung zu ersetzen sind. Beispielhaft nennt er sein „Kiebitz-Erwartungsland“, dass er bei der Bewirtschaftung ausspart, weil er weiß, dass die Kiebitze dort demnächst brüten werden. Und es wird die Arbeit bleiben, wo es nass, schwer und dreckig ist, weil Elektronik und Sensorik dort nicht ohne weiteres einsetzbar sind.

GPS-gestützte Systeme erleichtern es, auf dem Schlepper bei langen Arbeitseinsätzen konzentriert zu bleiben, so Herr Noosten. Im Blockland werden Nester auf Grünland per GPS eingelesen und deren Lage direkt dem Bewirtschafter übermittelt, damit er bei der Bearbeitung entsprechende Vorsicht walten lassen kann.

Für den Bereich des Biolandbaus führt Herr Lampen kameragesteuerte, hochpräzise Hacken an, die den Arbeitsaufwand für die Beikrautregulierung etwas mindern können. Wie die meisten digitalen Systeme sind sie aber sehr teuer und tragen so zur Beschleunigung des Strukturwandels bei. Denn Betriebe, die sich solche Investition leisten können, erhalten mit mehr Effizienz einen noch größeren Wettbewerbsvorteil.

Herr Noosten verweist auf zunehmende Ansprüche und Kontrolle seitens Verwaltungen und Behörden, die digitale Daten-Auszüge abfordern, und dies führt zu Mehrarbeit, statt Entlastung bei der Betriebsverwaltung. Gedanken daran, dass durch automatisierte Datenauswertung, künstliche Intelligenz und Vernetzung der Betriebseinheiten im Internet der Dinge der Landwirt zwar entlastet, aber zunehmend außen vor gelassen oder gar überflüssig wird, sind keine beruhigenden Aussichten.

Offen ist nämlich nach wie vor: wer hat Zugriff auf erhobene und ausgewertete Daten? Werden die Abhängigkeiten des landwirtschaftlichen Betriebs von einem bestimmten Abnehmer noch größer, weil dieser die Hofdaten kennt? Mit diesem Beispiel zeichnet Herr Ilchmann das Bild vom „gläsernen Landwirt“ und ergänzt, dass Händler mit Ernteprognosen aus satelliten-gestützten Datenerhebungen zusätzliche Vorteile erlangen.

Die dringlichsten Probleme löst Digitalisierung in der Landwirtschaft also nur sehr bedingt, sie schafft auf jeden Fall viele neue.

Welche Rolle kann hier ein Grundeinkommen einnehmen?

Ein Grundeinkommen ändert bei Selbständigen an der Situation, dass Betriebszweige Verluste einbringen, zunächst einmal nichts. Hier beschreibt nun Herr Lampen, wie das System der Solidarischen Landwirtschaft angelegt ist: Mitglieder zahlen einen festen Betrag in den Betrieb ein und erhalten als Gegenleistung saisonale Produkte des Hofes. In manchen SoLaWis werden weitere Vereinbarungen getroffen, z.B. ein Stundenkontingent zur Mitarbeit. Auf dem Hof Ems-Auen ist die Mitarbeit aber freiwillig und wird nicht verrechnet. „Es ist ja ganz unterschiedlich, wer wie viel Zeit zur Verfügung hat. Die Arbeit in den Gemüsebeeten, dann zu sehen, wie die Pflanzen heranwachsen, das macht einfach zufrieden.“ So sind in der SoLaWi Prinzipien des BGE bereits umgesetzt: Solidarität, Vertrauen und Arbeit für die Gemeinschaft.

Herr Noosten betrachtet die Arbeitnehmerseite: wer gerne in der Landwirtschaft arbeiten möchte, aber z.B. nur in der Bauwirtschaft genug für den Familienunterhalt verdient, hätte mit einem BGE neue Chancen.

„Landwirte definieren sich über Leistung, viel Arbeit. Ein BGE erscheint den meisten daher abwegig,“ erklärt Herr Ilchmann. „Wenn ich dann etwas ketzerisch sage: jeder Hektar, den Du bewirtschaftest, bekommt ein Grundeinkommen, wenn auch nicht bedingungslos. Da entwickelt sich schon ein anderer Blick.“ In vielen Betrieben machen die Direktzahlungen bereits die Hälfte des Einkommens aus, vergleichbar mit dem Aufstocken bei den Geringverdienern.

Vor der Pause und Möglichkeit, die Ausstellung zum BGE in der KVHS zu besuchen, beschreibt Herr Lampen seinen Ausbildungsbetrieb, die erste SoLaWi in Deutschland in der Nähe von Hamburg. Hier wurde zunächst die Geldsumme genannt, die der Hof zur Durchführung des Betriebs benötigte und als sie zusammen war, gestartet. Es wurde nicht einmal nachvollzogen, wer wie viel eingezahlt hatte und damit vielleicht „Rechte an der Ernte“ erwarb, jedes Mitglied erhielt die wöchentliche Menge zur eigenen Versorgung. Diese SoLaWi gibt es nach wie vor. Mit diesem wertvollen Einblick, was jetzt schon möglich ist, gehen wir ins World-Café.

Nach den Diskussionen in den Tischrunden werden die Ergebnisse zusammengetragen:

– der wirtschaftliche Druck, der dem Naturschutz oft widerspricht, wird geringer
– es gibt dem Unternehmer Freiheiten, Dinge einmal auszuprobieren
– als Arbeitnehmer habe ich eine gestärkte Position gegenüber dem Arbeitgeber
– faire, kostendeckende Preise kann jeder zahlen, weil jeder ein BGE erhält
– kein Wachsen oder Weichen mehr, vielleicht werden die Strukturen wieder kleiner
– Abfedern von Extremen, von der Intensiv-Kultur, Naturschutz durch „Liegenlassen“ möglich
– ein BGE ist gut für die Frage der Hofnachfolge
– wir finden kein stichhaltiges Gegenargument
– es fühlt sich gut an.

Alle Vertreter aus der Landwirtschaft sind sich einig, dass ein BGE Vorteile für die Landwirtschaft bringt und einen Beitrag zur Lösung der dringlichsten Probleme leisten kann.

Daher: Boden gut gemacht für ein BGE.

[1] https://digibge.wordpress.com/
[2] https://www.grundeinkommen.de/30/06/2019/digitalisierung-grundeinkommen-die-digibge19-tournee.html

Erstveröffentlichung unter https://digibge.wordpress.com/2019/12/02/digibge19-norden/ Dort finden sich auch Videos zur Veranstaltung.

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