Aktuelles Gastbeiträge

Ministerpräsident Weil – Zukunft ist seine Sache nicht

Flagge des Landes Niedersachsen

von Thomas Ganskow, Landesvorsitzender der Piraten Niedersachsen

Am 01.01.2019 hielt Ministerpräsident Stephan Weil seine traditionelle Neujahrsansprache (1). Sie war geprägt von Durchhalteparolen, zeigte jedoch keinerlei Lösungsansätze für die aktuellen Probleme und Herausforderungen auf.

So ist Niedersachsen nach wie vor Schlusslicht mittlerweile sogar in Europa hinsichtlich eines Informationsfreiheitsgesetzes auf Landesebene (2) Hier ist es dringend nötig, diese rote Laterne auf Grün umzuschalten. Denn dass es trotz mittlerweile sogar eines Beschlusses der CDU auf Bundesebene (3) so absolut keine Anstalten gibt, die Situation zu bereinigen, ist ein Trauerspiel in einer modernen Welt. Überhaupt spielt das Thema Digitalisierung nur eine Nebenrolle. Obwohl es unübersehbar ist, dass dies neben den aus dem Klimaschutz resultierenden Herausforderungen der Politikbereich ist, der die Gesellschaft am nachhaltigsten beeinflussen wird. Das ungenügende Eingehen darauf ist ja vielleicht darauf zurückzuführen, dass es Herrn Weil unangenehm ist. Mögen dennoch Taten folgen.

Was Herr Weil anspricht, ist folgendes:

“Viele Menschen in unserem Land machen sich Gedanken wegen des Klimawandels und der traurigen Zustände mancher Wälder in Niedersachsen – dies ist dafür nur ein konkretes Beispiel. Andere fragen sich umgekehrt, wie es mit ihren Arbeitsplätzen weitergehen soll, wenn der Klimaschutz zu tiefgreifenden Veränderungen in der Automobilindustrie führen wird.”

Die niedersächsische Landesregierung ist finanziell und personell beim größten Automobilhersteller Deutschlands, der Volkswagen AG, vertreten. Hier nicht frühzeitig darauf gedrungen zu haben, E-Mobilität und den damit verbundenen Strukturwandel in der Automobilindustrie zu forcieren, zeugt von mangelnder Weitsicht in der Landesregierung. Wie sie überhaupt in Sachen Breitbandausbau jämmerlich versagt hat und auch für die nähere Zukunft keine Besserung erwarten lässt.

“Viele Landwirte bangen derzeit um ihre wirtschaftliche Zukunft, andere Bürgerinnen und Bürger machen sich umgekehrt Gedanken über den Artenschutz und die Wasserqualität.

Was ist der beste Weg mit diesen Fragen umzugehen, die ja zum Teil völlig gegensätzlich sind? Meine Antwort ist: Eine kluge Mischung von Zuversicht und Zusammenhalt.”

Hier liegt der Ministerpräsident falsch. Mit Zuversicht kommt man kein Stück weiter. Es braucht wirkliche Taten. Eine inkonsequente Herangehensweise an die Themen Artenschutz und Wasserqualität entzieht Niedersachsen die Lebensgrundlage. Nicht umsonst heißt es, Wasser ist ein Stück Lebenskraft. Hier nicht konsequent die Landwirtschaft zu verpflichten, den Nitrateintrag in Boden und damit Grundwasser und Gewässer einzustellen (4), ist nichts weiter als ein Einknicken vor der Lobby der Massentierhaltung. Und es ist ein Zeichen dafür, dass dem Ministerpräsidenten das Thema Artenschutz nicht wirklich wichtig ist. Denn in der Natur hängt alles mit allem zusammen. Überdüngung und der Einsatz von Pflanzengiften zur Ertragssteigerung sind zwei der Hauptursachen für das stetige Zurückgehen der Artenvielfalt.

“Wir sind keineswegs nur von Herausforderungen umzingelt. Natürlich gibt es bei uns leider auch Armut und soziale Missstände, aber insgesamt leben wir auf einem Niveau, von dem frühere Generationen nur träumen konnten.”

Man kann natürlich, wie es Herr Weil tut, verächtlich auf Minderheiten gucken und sich Dingen rühmen, die man selber herzlich wenig zu verantworten hat. Denn zwar ist die Armutsquote in Niedersachsen auf 15% zurückgegangen (5), aber das ist wahrlich kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen und schon gar nicht sozialpolitischen Entscheidungen der Landesregierung zu verdanken. Hier wird es Zeit, die Grundlagen für ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu legen, wie wir Piraten Niedersachsen es fordern (6).

“Wer von Auslandsreisen zurückkommt, weiß oft davon zu berichten, was wir an unserem Land haben. Das ist das Ergebnis der Leistung einer ganzen Gesellschaft über einen langen Zeitraum hinweg und wir sind nach wie vor sehr leistungsfähig in Deutschland und in Niedersachsen.”

Noch viel öfter weiß man aber zu berichten, was woanders besser läuft. Sei es die Versorgung mit Internet (7) (8), die Umsetzung piratiger Ideen in Sachen ÖPNV (9) und Mobilität im Allgemeinen (10) (11) und in Sachen Entbürokratisierung der Verwaltung (12) oder in der Pflegepolitik (13). Alles Punkte, in denen Niedersachsen schon lange Initiator einer Wende Richtung Zukunft in Deutschland sein könnte, aber sich viel zu sehr an die Gegenwart klammert. Dabei sind dies alles Bereiche, in denen ein Blick über den Tellerrand so wichtig, richtig und einfach wäre. Gutes darf kopiert werden.

“Vor allem aber begegnen mir Tag für Tag überall in Niedersachsen Menschen, die viel Gemeinsinn haben und sich einsetzen für die Gemeinschaft. Viele kümmern sich in der Familie und im Freundeskreis um andere oder haben einfach nur ein gutes Wort für die Nachbarn. Viele andere sind aber auch haupt- oder ehrenamtlich tätig – etwa bei der Feuerwehr, in der Arbeit mit Kindern oder alten Menschen, bei der Integration von Menschen aus anderen Ländern. Herzlichen Dank für diese Arbeit und besonders bedanken möchte ich mich auch gerade bei denjenigen, die während der Festtage deswegen arbeiten mussten.”

Dem Dank an diejenigen, die unter großem Einsatz beruflich oder ehrenamtlich für die Gesellschaft arbeiten, schließe ich mich an. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele der insbesondere ehrenamtlich zu erledigenden Arbeiten nur deshalb entstehen, weil hier der Staat in seiner ureigensten Funktion als Hüter des Wohlergehens seiner Bürger schändlich versagt. Dass beispielsweise die Tafeln teilweise das 25. Jahr ihres Bestehens hinter sich haben (14) und stetig neue eröffnet werden, ist nur die Folge des eklatanten Versagens des Staates bei der Daseinsvorsage durch eine Politik, bei der wirtschaftliche Leistung im Vordergrund steht und nicht der Mensch an sich.

“Wir wollen zum Beispiel das Klimaland Nummer eins in Deutschland werden und haben dafür gute Voraussetzungen, weil bei uns sehr viel Wind weht. Dabei werden wir aber auch immer die Auswirkungen auf die besonders Betroffenen im Blick haben und den Ausgleich suchen. Es soll fair zugehen in Niedersachsen. Kompromisse sind in einer Demokratie nichts Schlechtes, sondern etwas Gutes.”

Da ist er endlich, der Führungsanspruch, den man an vielen anderen Stellen schmerzlich vermisst. Doch um Klimaland Nummer eins, sofern man überhaupt auf Landesebene derart regional denken kann, zu werden, braucht es anderer Mittel, als der Windkraft, die an ihre durch die Bundesgesetzgebung geschaffenen Kapazitätsgrenzen gekommen ist und der aus Niedersachsen keine Unterstützung zuzukommen zu erwarten ist. Gerade erst hat wieder ein großer niedersächsischer Windanlagenhersteller seine Produktion von Rotorblättern in Deutschland eingestellt (15). Wie es in der Vergangenheit schon den Produzenten von Sonnenenergieanlagen gegangen ist. Die Produktionskosten für diese Art der Energie sind seit dem merklich gesunken (16), die Ausbaukapazitäten sind immens (17). Will also Niedersachsen etwas tun, muss es nicht nur auf eine Technik setzen, sondern den Mix der Möglichkeiten nutzen, um naturbedingte Produktionsschwankungen der dann vorhandenen Energieerzeugungsmöglichkeiten auszugleichen. Doch dazu braucht es weder Atomstrom, Kohle, Erdg- oder Frackinggas als Energieträger. Ein Schritt Richtung Zukunft wäre, sich auf das Unausweichliche vorzubereiten: Das absehbare Ende der Möglichkeit der Erergieerzeugung aus konventionellen fossilen Energieträgern (18). Von dieser Landesregierung sind entsprechende Schritte leider nicht zu erwarten.

“Und noch etwas ist mir wichtig: Wir haben gemeinsam etwas zu verteidigen – eine freie, tolerante und respektvolle Gesellschaft. Diese Werte sind das beste Rezept gegen Angst- und Miesmacherei, gegen Aggression und Ausgrenzung. Beleidigungen oder gar Übergriffe zum Beispiel gegen Polizeibeamte, Rettungshelfer oder Bürgermeister müssen wir zusammen klar und deutlich zurückweisen!”

Ohne Zweifel, vieles von dem ist richtig. Aber es muss erlaubt sein, Kritik zu üben. Dies Miesmacherei zu nennen, ist dem gesellschaftlichen Konsens nicht förderlich. Und selbst nichts gegen Ausgrenzung zu tun, womit wir wieder bei denen wären, die von der Politik wenig beachtet werden, ist, weil es sich hier nur auf diejenigen bezieht, die direkt von Teilen der Politik permanent und zu Unrecht angegriffen werden – den zu uns Geflüchteten – als Bigotterie zu bezeichnen. Was die Übergriffe auf Hilfs- und Rettungspersonal aber auch auf politische Vertreter betrifft, sind die Aussagen richtig. Dass es zu deren Schutz einer Ausweitung der rechtlichen Möglichkeiten bedurfte oder ob nicht auch eine konsequente Nutzung bestehenden strafrechtlichen Rahmens ausgereicht hätte, darf bezweifelt werden. Wie überhaupt im sicherheitsesotherischen Bereich der Landesregierung mit dem NPOG ein Wesen geschaffen wurde, was im Falle eines Falles nicht mehr zu bändigen ist. Die damit einhergehende Beschränkung der Freiheit ist nicht akzeptabel und kontraproduktiv hinsichtlich eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft.

In diesem Sinne gehen wir das Jahr 2020 an. Es wäre schön, wenn wir dies nicht tun müssten.

Quellen:
(1) https://www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/aktuelle_reden_des_ministerprasidenten/neujahrsansprache-2020-des-niedersachsischen-ministerprasidenten-stephan-weil-183857.html
(2) https://twitter.com/annalist/status/1211653777603862528
(3) https://www.golem.de/news/parteitagsbeschluss-cdu-will-open-source-als-standard-in-der-verwaltung-1911-145190.html
(4) https://piraten-nds.de/2019/07/25/piraten-niedersachsen-kritisieren-spaetes-handeln-der-landesregierung-in-sachen-nitratverringerung/
(5) https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Weniger-Niedersachsen-sind-von-Armut-bedroht,armut302.html
(6) https://wiki.piratenpartei.de/NDS:Wahlprogramm_LTW_2022#Testgebiete_f.C3.BCr_Bedingungsloses_Grundeinkommen
(7) https://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article197193483/Internetgeschwindigkeit-Diese-Bundeslaender-sind-die-schnellsten.html in Verbindung mit
(8) https://www.it-daily.net/analysen/16102-internet-geschwindigkeit-weltweit-deutschland-auf-platz-25
(9) https://www.travelbook.de/ziele/laender/luxemburg-macht-bahn-und-bus-kostenlos
(10) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/909259/umfrage/jaehrliche-ausgaben-je-einwohner-fuer-den-radverkehr-in-deutschen-staedten/
(11) https://twitter.com/ECOWARRIORSS/status/1211435939790237697
(12) https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/digital-vorreiter-im-baltikum-behoerdendienste-erledigen-sich-in-estland-kuenftig-von-selbst/25385494.html
(13) https://www.aerztezeitung.de/Politik/Was-Deutschland-bei-der-Pflege-von-anderen-Laendern-lernen-kann-253611.html
(14) https://www.piratenpartei.de/2018/01/31/25-jahre-tafeln-kein-grund-zum-feiern/
(15) https://www.deutschlandfunkkultur.de/flaute-in-der-windenergiebranche-stellenabbau-bei-enercon.1001.de.html?dram:article_id=466356
(16) https://www.solaranlagen-portal.de/photovoltaik/preis-solar-kosten.html
(17) https://www.pv-magazine.de/2019/10/11/eu-daten-photovoltaik-ausbau-braucht-nur-wenig-flaechen/
(18) https://www.energie-lexikon.info/fossile_energietraeger.html

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